Regelinsolvenzverfahren – Sanierungschance für Unternehmen und Selbstständige
Zwischen Gläubigerbefriedigung und unternehmerischem Neuanfang
Einleitung
Das Regelinsolvenzverfahren ist das zentrale Instrument zur Abwicklung oder Sanierung von Unternehmen und ehemals Selbstständigen in der deutschen Insolvenzordnung. Es unterscheidet sich in Ablauf, Zielsetzung und Komplexität deutlich von der Privatinsolvenz. Während Letztere auf natürliche Personen mit rein privaten Schulden fokussiert, ist die Regelinsolvenz für alle übrigen Schuldner vorgesehen – insbesondere juristische Personen, eingetragene Kaufleute und Selbstständige. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über das Verfahren, seine Anforderungen und seine Rolle im modernen Insolvenzrecht.
1. Abgrenzung: Regelinsolvenz vs. Verbraucherinsolvenz
Das Regelinsolvenzverfahren kommt immer dann zur Anwendung, wenn der Schuldner:
- selbstständig tätig ist oder war, und noch betriebliche Verbindlichkeiten bestehen, oder
- eine juristische Person ist (z. B. GmbH, AG), oder
- eine Personengesellschaft ist (z. B. GbR, OHG, KG), oder
- ehemals Selbstständiger mit komplexen Verhältnissen (z. B. vielen Gläubigern oder ausstehenden Forderungen)
Diese Verfahren sind typischerweise wirtschaftlich komplexer, da neben Schulden oft auch Vermögen, Betriebsvermögen, Arbeitsverhältnisse und laufende Geschäftsprozesse betroffen sind.
2. Voraussetzungen und Ablauf
a) Insolvenzantrag:
Der Antrag kann vom Schuldner selbst oder von einem Gläubiger gestellt werden. Voraussetzung ist das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes: Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO bei juristischen Personen).
b) Vorläufiges Verfahren:
Ein vorläufiger Insolvenzverwalter wird eingesetzt, um das Unternehmen zu sichern. Lohnansprüche werden durch Insolvenzgeld aufgefangen.
c) Eröffnung des Verfahrens:
Mit Eröffnung wird ein Insolvenzverwalter eingesetzt. Dieser übernimmt die Kontrolle über das Unternehmen und entscheidet über Fortführung oder Stilllegung.
d) Masseverwaltung:
Der Verwalter verwertet das Vermögen und prüft, ob eine Sanierung möglich ist. Bei positiver Fortführungsprognose kann ein Insolvenzplan erstellt werden.
e) Gläubigerbefriedigung:
Nach Verwertung erfolgt die Verteilung der Insolvenzmasse. Vorrangige Gläubiger (z. B. Massegläubiger) werden zuerst bedient.
f) Restschuldbefreiung (nur bei natürlichen Personen):
Auch ehemals Selbstständige in der Regelinsolvenz können nach drei Jahren Restschuldbefreiung beantragen.
3. Besonderheiten bei Unternehmen
Bei juristischen Personen steht nicht die Entschuldung, sondern die geordnete Abwicklung oder Sanierung im Vordergrund. Mögliche Szenarien:
- Liquidation mit Verwertung der Aktiva
- Übertragende Sanierung (Verkauf an einen Investor)
- Insolvenzplanverfahren (z. B. Debt-to-Equity-Swap, Vergleichsregelungen)
- Eigenverwaltung/Sachwaltermodell bei guter Vorbereitung (insb. mit Schutzschirmverfahren)
Wichtige Rolle spielen hier M&A-Berater, Sanierungsexperten und arbeitsrechtliche Spezialisten.
4. Chancen und Risiken
Chancen:
- Geordneter Neuanfang durch Sanierung oder Entschuldung
- Schutz vor Zwangsvollstreckung
- Insolvenzgeld sichert Löhne
- Möglichkeit zur Strukturreform über Insolvenzplan
Risiken:
- Imageverlust
- Eingeschränkte Steuerungsfähigkeit durch den Insolvenzverwalter
- Persönliche Haftung von Geschäftsführern bei Pflichtverletzungen vor Antragstellung
- Komplexe Verfahrenskosten bei geringer Masse
5. Aktuelle Entwicklungen
- Stärkere Nutzung der Eigenverwaltung infolge des ESUG
- Professionalisierung des Verfahrensmanagements
- Digitalisierung der Kommunikation mit Gericht und Gläubigern
- Rechtsvergleichende Diskussion zur Einführung vereinfachter Unternehmensinsolvenzen für Kleinstunternehmen
Fazit
Das Regelinsolvenzverfahren ist ein hochentwickeltes und vielseitig einsetzbares Sanierungs- und Abwicklungsinstrument. Für Unternehmen eröffnet es die Chance, sich unter gerichtlichem Schutz neu zu organisieren oder geordnet abzuwickeln. Die strategische Vorbereitung, ein professioneller Verfahrensbegleiter und eine realistische Gläubigerkommunikation sind entscheidend für den Erfolg.